Alfred ist Leistungssportler und probiert zum ersten Mal EMS-Training aus. Er berichtet.
EMS unter der Lupe
Es war eine dieser seltenen „first-in-life“-Erfahrungen: Nur 45 Minuten, dafür mit dauerhafter Wirkung. Begeisterung groß, Muskelkater galore. Es geht um Elektro-Muskel-Stimulationstraining, kurz: EMS. Beim EMS-Training werden Muskelkontraktionen nicht durch Gewichte ausgelöst, sondern durch niederfrequente elektrische Impulse. In Verbindung mit den ausgeführten Übungen verstärken sich die Muskelkontraktionen. Die Effektivität steigt im Vergleich zu herkömmlichem Krafttraining um das 5- bis 6-fache, die Trainingszeit sinkt dagegen auf gerade mal 20 Minuten pro Einheit. An den großen Hauptmuskelgruppen (Beine, Bauch, Gesäß, oberer und unterer Rücken, Brust, Arme, Schultern) werden, eingebettet in die Spezialkleidung, insgesamt acht Elektrodenpaare befestigt. Durch angenehm anregende Impulse werden diese und alle dazwischen oder tiefer liegenden Muskeln (zum Beispiel Beckenboden und tiefe Rückenmuskeln) stimuliert und trainiert.
Die Liste der Erfolgsversprechen mit EMS ist lang:
- Muskelaufbau
- Kraftverbesserung
- Leistungssteigerung
- Bekämpfung von Rückenschmerzen
- Lösung von Verspannungen
- Stärkung der Beckenbodenmuskulatur
- Behandlung von Cellulite
- Fettreduktion
- Erhöhung der Stressresistenz
- Auswirkung auf Stimmung und Motivation
EMS ist bereits jahrzehntelang bewährt im physiotherapeutischem Bereich und hält seit einigen Jahren über die sportmedizinische Brücke Einzug in das Training ambitionierterer Kraft- und Ausdauersportler. Viele schwören einfach drauf, weil es die Muskulatur lockert oder Verspannungen beseitigt. Probieren geht über studieren: Mitte letzter Woche war ich deshalb beim EMS-Probetraining. Unter fachkundiger Anleitung von Trainer David ging´s ins Probetraining, das aus drei Teilen besteht: Ein ausführliches Gespräch inklusive Freistellungserklärung, Einführung und Training.
Feucht-fröhlicher Start
Meine Kleidung inklusive Unterwäsche tausche ich gegen einen schwarzen Baumwollsuite. Damit der Impuls optimal übertragen werden kann, wird die Wäsche leicht feucht gemacht. Frisch gewaschen riecht sie sehr gut, wirkt leicht gewärmt und klamm. Angenehm. Abonnenten haben übrigens ihre persönliche Wäsche, sparen sich also das Umziehen. Mein heutiger Trainer, David, hilft mir in die Weste, in die Technik. Verzurrt sie gut, so dass sie eng anliegt, und die Brücke zum Körper klappt. Noch schnell den Gürtel für Gesäß und Beine umgelegt, angeschnallt, angeklemmt, angeschaltet, losgelegt. Vor dem Gerät geht's erstmal in den lockeren Stand, verbunden mit dem Gerät. Hier werden die einzelnen Muskelpartien separat angesteuert und die Intensität des Stroms geregelt. Vom leichten Kribbeln über ein herausforderndes Trainingslevel, bis hin zu einer Stärke, die mich später regelrecht zum Keuchen bringt. In einem ersten Durchlauf steigert er pro Körperpartie langsam die Intensität, so lange, bis ich "Stopp" sage. Die Grenze ist so definiert, dass es deutlich mehr als ein Kribbeln im Körper ist, trotzdem anstrengend aber auf keinen Fall ein Schmerz sein soll. In den ersten Minuten mache ich Bekanntschaft mit einem häufig anzutreffenden Effekt bei EMS-Erstlingen: Das Lächeln weicht gar nicht mehr aus dem Gesicht, ich muss regelrecht lachen. Das ist einfach ein zu schönes, lustiges Gefühl im Körper. Es gehört zu der Gattung von Erlebnissen, die man zum allerersten Mal macht. Bei der man seine Umgebung komplett ausblendet, wo nur noch die Erfahrung im Moment zählt. Sehr speziell. Muskeln kontrahieren, Körperpartien spannen sich automatisch und unwillkürlich an, Körperspannung wird dagegen gesetzt. Der Strom ist jetzt mein Kontrahent.
Irgendwo zwischen Schnappatmung und Training
Von außen habe ich im Vorbeigehen die Trainings schon öfter betrachtet, in dem zentral in der Innenstadt von Wuppertal gelegenen Studio. Von außen sah es eigentlich immer ziemlich entspannt aus, quasi virtuell. Ich irrte. Die Anstrengung ist außerordentlich real. Physisch existent, 85 mal vibrieren die Muskelfasern pro Sekunde. Nicht der Hauch einer Ahnung von außen. Bis auf den Anzug. Innen drin tobt das Training. David leitet mich an. Alles bis jetzt war nur ein Probelauf. Bekanntmachen und Vertrautwerden mit den Impulsen. Mein Lächeln wird ein wenig unsicher. Er erklärt mir den automatischen Wechsel des Geräts aus 4 Sekunden Strom und 4 Sekunden Pause, immer im Wechsel. Unter Strom werden wir verschiedene Übungen machen, meine Muskeln also zusätzlich zur unwillentlichen Kontraktion willentlich gezielt belasten. Etappenweise werden außerdem immer mehr Körperpartien amperetechnisch aktiviert, um am Ende parallel zum Training vollständig elektrisiert zu sein.
Die Geräte bringen rund 120 Volt Ausgangspegel mit. Diese (hohe) Spannung irritiert womöglich, doch entscheidend ist der Strom, der tatsächlich fließen kann. Das ist abhängig vom Innenwiderstand und der angelegten Frequenz: Damit Muskeln kontrahieren, müssen schon einige Milliampere fließen. Zuverlässig funktioniert das nur mit Spannung, die deutlich über 12 Volt liegt. Die Geräte takten die Spannung sehr hoch und regeln die Pulsweite ständig nach, um den Strom genau einzupegeln.
Was beim Lauftraining höchstens als sanftes Dehnen durchgeht, verlangt mir unter Strom alles ab. Vorder- und Rückseiten der Muskeln, Agonist und Antagonist, werden gleichzeitig gefordert. Körperspannung ist alles, nur Dank ihr hab ich das Gefühl, die Kontrolle zu behalten. Genug für diverse Streckungen von Armen und Beinen, Rücken und Bauch. Das Becken macht auch irgendwas, von alleine. David erkundigt sich regelmäßig, ob stromstärkentechnisch alles in Ordnung sei, mehr ginge oder weniger müsse, und ich das Atmen nicht vergessen solle. Ich kann nicht sagen, warum ich oft nicht richtig atme, die Luft regelrecht anhalte. Ob es an der (Körper-)Spannung liegt, der Anstrengung – oder beidem. Es ist kein echtes Problem, schließlich dauert jede Belastungsphase gerade mal vier Sekunden. Gilt leider auch für jede Pause. Man ist wirklich gut beraten, den Tipp mit dem Atmen zu beherzigen. Ohne den Energielieferanten Nummer eins kommt man schließlich schnell ins Keuchen. Genauso logisch wäre es vermutlich, beim Laufen die Luft anzuhalten. Hält man auch nicht lange durch.
Eine ganz neue Erfahrung
Neu beim EMS ist für mich die gesamte körperliche Erfahrung. Vielleicht hält man da auch einfach erstmal vor lauter Überraschung und Begeisterung die Luft an. Jedenfalls kann ich Davids Frage "Geht's noch?" nur noch grob pantomimisch beantworten. Anders als beim Dehnen vor oder nach dem Lauftraining, gelingt mir die Ausführung der Übungen kaum wirklich sauber. Die Koordination fällt angesichts des nötigen Kraftaufwands und Willens anfangs schwer. Außerdem lenkt dieses neue Körpergefühl ab, hochfrequentes, krampfartiges Vibrieren überall. Denn systematisch werden mehr und mehr Partien parallel aktiviert, bis gegen Ende des Trainings der ganze Körper unter Strom steht. Inklusive der Übungen ein ganzheitlicher und noch nie dagewesener Kraftakt. Meine Begeisterung ist ungebrochen, mein Lächeln allerdings verschwunden. Doch egal: Nach rund 20 Minuten ist das Training ohnehin vorbei. Das Zeitgefühl hatte ich zwischendurch verloren, trotz Uhr genau gegenüber. Kein Gedanke daran, dass das jetzt vielleicht kurz gewesen sein könnte: Völlig normale Trainingsdauer. Mein Körper weiß es auch: Am Abend spüre ich ein warmes Kribbeln in der Muskulatur, neben einem leichten „Pudding“ im Körper, wie nach einer sehr starken und langen Belastung. Der Kopf kann es noch nicht richtig zuordnen, fragt sich öfter in den nächsten Stunden nach dem Grund für die Mattigkeit.
Der Muskelkater meines Lebens
Was auch immer mein faules Muskel-Pack sonst so macht, EMS hat es ordentlich aufgemischt. Muskeln, von deren Existenz ich bislang nichts geahnt habe. So sehr, dass ich mich drei Tage nur mühsam setzen konnte und selbst meine Hände nicht vom Muskelkater verschont blieben. Absolut faszinierend fand ich ich die gesamte Erschöpfung des Körpers: 16 Minuten Nettozeit Training waren im Anschluss mit Abstand anstrengender als jeder Marathon. Das meine ich völlig ernst – nichts in den letzten drei Jahren war so nachhaltig erschöpfend. Schlimm! Super! Mein letzter Muskelkater dieser Kragenweite ist 20 Jahre her. In der Muckibude meines Misstrauens haben sich die Pumper einen Spaß gemacht und der schlacksigen Brillenschlange mal gezeigt, wo der Ziegenbock die Hantel hat. Im Gegenzug wollte ich es ihnen mal so richtig beweisen und habe weder Mensch noch Material geschont. Preis der Mühe war, dass ich nicht nur meiner Karriere im Bodybuilding eine Absage erteilte, sondern auch für drei Tage arbeitsunfähig war. So schlimm war es diesmal nicht, aber doch ziemlich nah dran.
Mein Fazit
Die Erfahrungen machen mich neugierig. Was so intensiv auf den Körper wirkt, muss nachhaltig einfach einen Effekt haben. Studien-Studium bringt mich da nur bedingt weiter, ich will es ausprobieren. Und ich will dieses Gefühl vom Training zurück, vielleicht auch ein wenig den Muskelkater – aber bitte die gemäßigte Version. Praktischerweise bietet das EMS-Studio ein Schnupperabo mit drei weiteren Einheiten an. Ich probiere es aus!
Quelle & Fotos: marathonmann.de